„Angebundene Deckel“: Neuartige Verschlüsse fordern uns heraus
18. September 2023
Wie aus dem Nichts scheinen sie aufgetaucht zu sein: Einweg-Flaschen und Tetrapaks mit Deckeln, die sich nicht mehr einfach abschrauben lassen. Die „Tethered Caps“ fallen vielen auf die Nerven. Aber warum ein Gramm Plastik mehr oder weniger einen Unterschied machen kann, erklärt Prof. Eugen Herzau, HTWK-Experte für nachhaltige Verpackungstechnologien:
Was hat es mit diesen Verschlusskappen auf sich?
EH: So neu sind die Deckel gar nicht. In der EU verpflichtend werden sie aber erst ab Sommer 2024 . Das Phänomen erscheint vielen neu, weil es bisher nicht richtig kommuniziert wurde. Ziel ist es, die Verschlüsse zusammen mit den Behältern zurück in den Kreislauf zu bringen, und die Vermüllung der Umwelt, das sogenannte Littering, durch achtlos weggeworfene Verschlüsse zu verringern. So kleine Kappen „verschwinden“ nun einmal besonders schnell. Und damit stehen sie der stofflichen Verwertung nicht mehr zur Verfügung – doch genau das ist ja das wichtigste Ziel in unserem Recyclingsystem. Dabei müssen wir auch unterscheiden zwischen der Verwertung von Abfällen – ich sage bewusst nicht Müll – denn das kann auch die thermische Verwertung sein, also das Verbrennen, das Energie erbringt – und Recycling, also der stofflichen Verwertung. Dabei bleibt das Material erhalten und kann wieder genutzt werden. Wir als Kundschaft verlassen an dieser Stelle also zumindest ein Stück weit unsere Komfortzone, indem wir uns umstellen müssen, an dieser – minimalen – Stelle.
Wir haben es getestet: So ein Verschluss wiegt ein bis zwei Gramm. Lohnt sich das überhaupt?
EH: Ja, die Masse macht’s auch hier! Wenn mal es mal hochrechnet, kommt bei einer Million weggeworfener Deckel eben auch mehr als eine Tonne zusammen, die sich im Zweifel irgendwann über die Strände dieser Welt verteilt.
Welche Alternativen sehen Sie?
EH: Alternative Materialien gegenüber Kunststoffen werden immer wieder gefordert und auch ausprobiert, möglichst auf Basis von Naturmaterialien, nachwachsend und abbaubar sollen sie sein. Ich denke da z. B. an Bienenwachstücher als Lebensmittelverpackung für den Hausgebrauch, Papier und Karton aus Gras, um die Holzvorkommen zu schonen. Relativ neu ist die Silphie-Pflanze, eine gelbe Blume, die viel Biomasse produziert und mit der ebenfalls zur Papierherstellung experimentiert wird; am Bodensee wird sie schon angebaut. Auch Abfälle, z. B. aus Hanf, oder Sägespäne, die mit Pilzen und Stärke versetzt werden sind denkbar.
Dazu haben wir hier im Studiengang auch eigene Versuche gemacht, aber letztlich hat das Ergebnis unsere Erwartungen nicht erfüllt. Kurzum: Solche alternativen Rohstoffe können im Moment lediglich als Ergänzung zu industriellen Herstellungsverfahren betrachtet werden, sie sind noch lange nicht konkurrenzfähig und daher auch nicht die preiswertesten. Hier wetteifern Nachhaltigkeit und Ökonomie miteinander. Es muss sich nun einmal rechnen. Wenn wir nachhaltiger sein wollen, müssen wir viel mehr standardisieren – aus Kostengründen und Gründen des Energieverbrauchs.
Also Vorsicht mit allzu romantischen Vorstellungen?
EH: Ja! Wir müssen industriell denken, das ist nicht mehr umkehrbar. Zurück zur Selbstversorgung für alle? Das würde nicht funktionieren – wir könnten die Menschheit schlicht und einfach nicht mehr satt bekommen. Die Bevölkerung auf der Erde wächst und damit auch der Drang nach Wohlstand, in allen Ländern! Das bedingt Hunger nach allem – nach Lebensmitteln, Energie, Wasser… Deshalb: Dauerbrenner ist und bleibt das Kunststoff-Recycling, getrieben vom Kreislaufwirtschaftsgesetz. Unsere Ressourcen sind endlich. Aber die Verpackungsherstellung ist sehr heterogen und die Hersteller sind untereinander Wettbewerber – das bringt die Unzahl an Verpackungen hervor. „Die Verpackung ist ein schreiender Verkäufer“ haben wir früher gesagt – sie ist Marketing und hat das Ziel, über Emotionen Kaufinteresse zu wecken. Und: Sie schützt die Produkte und leistet einen Beitrag für unser bequemes Leben.
Doch ich beobachte auch da einen Wandel: Verpackungen müssen im Konzept der Nachhaltigkeit auch vor unseren Studierenden bestehen. Das Interesse an dem Thema ist gewachsen, viel größer als noch vor zehn Jahren – das ist gut! Nicht mehr allein die Kosteneffizienz durch Prozessoptimierung entscheidet, sondern inzwischen geht es um Kosten und Nachhaltigkeit. Dieser Entwicklung entsprechen wir mit unserem Studiengang. Dennoch: Die gewünschten Veränderungen zu mehr Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft dauern länger als erhofft.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Infos zum Studiengang
Studierende im Bachelorstudiengang Verpackungstechnologie und Nachhaltigkeit werden umfassend zu technologisch orientierten Spezialistinnen und Spezialisten ausgebildet, die sämtliche Herausforderungen im Bereich des Verpackungswesens kompetent bewältigen können. Dieses Studium zeichnet sich durch eine facettenreiche Modulvielfalt aus, die die Grundlage dafür schafft, innovative Ideen und Konzepte zu entwickeln und technische Lösungen in Form von Prototypen und Musterverpackungen umzusetzen. Die Regelstudienzeit beträgt sieben Semester und Start ist im Wintersemester.