Ein Vierteljahrhundert auf dem Weg
25 Jahre HTWK-Radtour
Ein Beitrag von Prof. Dr. Rüdiger Ulrich

Am Anfang waren wir fünf. Heute sind wir fünfzig. Eine Woche lang unterwegs mit Zelt, Schlafsack und Rad in der Region und weit darüber hinaus. Wir besuchen Betriebe, Museen, Dörfer und Städte, Land und Leute, ohne Leistungspunkte. Immer wieder gibt es Premieren wie dieses Jahr zur Jubiläumstour: unser Rektor mit am Start! Überraschend gut konditioniert: ohne Klapprad im Führungsteam und erstaunlich antrittsstark. Für mich Kurzstreckenlaien blieb nur übrig, sein Angebot anzunehmen und in seinem Windschatten zu „segeln“. Im Windschatten des Rektors unterwegs zu sein: Wo gibt es denn so was noch? Wenn das kein Symbol ist?
Die 25. HTWK-Radtour vom 9. bis 17. August 2025 führte uns in die Region, über die Europäische Kulturhauptstadt Chemnitz, Zwickau, Gera, Jena, Weimar, Erfurt in die Rhön und zur Wartburg. Was diese Woche voller Sonnenschein geboten hat, kann man nur vorsichtig kommunizieren: Es wirkt leicht unglaubwürdig. Ein Höhepunkt war gewiss das gemeinsame Kochen und Backen: In zwei Kesseln über dem offenen Feuer gab es auf dem Gelände einer alten Thüringer Mühle Thüringer Klöße mit Gulasch und im Schlossbackofen der Reinstädter Kemenate wurde „Reinstädter Kräuterlandbrot“ mit Sauerteig gebacken und zahlreiche Fladenbrote dazu. An diesem sagenhaften Ort über der sternenklaren Nacht in die Glutkammer des gemauerten Lehmbackofens zu schauen, das waren Bilder wie aus dem Paläolithikum.

Der Geist von Weimar
Auch im Garten Goethes vor dem „Weimar-Leipziger Monument“: Der Stein des guten Glücks, die auf einem Würfel ruhende und ausbalancierte Kugel aus Tonndorfer Sandstein, von Goethe und seinem Leipziger Freund Oeser konzipiert, war ein Höhepunkt. Ich versuche bei meiner Führung Details zu vermeiden, um den Geist dieser Stadt ins Bewusstsein zu rufen: Der Geist von Weimar sind nicht 45 Museen! Was aber dann? Die Gegenwart ist gekennzeichnet von endlosen Rufen nach neuen Grenzen, versuche ich zu verdeutlichen: CO2-Grenzen, Plastikgrenzen, Feinstaubgrenzen, Fischfanggrenzen, Düngemittelgrenzen, Pestizidgrenzen, Versiegelungsgrenzen, Eigenkapitalgrenzen, Smartphonegrenzen (in Grundschulen), Touristengrenzen und so weiter und so weiter. Und der menschliche Zauberlehrling spürt, Goethe hat es präzise vorweggenommen, nach seinen maßlosen Grenzüberschreitungen eine trostlose Ohnmacht und Überforderung: vollständig absehbar und hausgemacht! Also stehen wir genau richtig in Weimar: Denn der Geist von Weimar ist das Maß! Das menschliche Maß und wie es zu erreichen ist. In einem Duett von Novalis und Violine unterwegs von Tourteilnehmern dargebracht, gegen Mitternacht in einer alten Thüringer Dorfkirche zum Beispiel. Aber eben auch: wieder und immer wieder waldwärts, vor allem und gerade heute! Und weil Hörsäle hier nur bedingt weiterführen, gibt es seit 25 Jahren unsere Hochschulradtour.

Gute Gespräche am runden Tisch
Ein weiterer Höhepunkt unserer Tour war das Bauen, Aufstellen und Einweihen des Runden Tischs, der als Leipziger Symbol der Friedlichen Revolution und Veränderung Geschichte gemacht hat. In einem alten, stillgelegten Sägewerk in Oettern im Weimarer Land haben wir einen mobilen Runden Tisch (Durchmesser 2,20 Meter) gesägt und geschraubt und mit dem Bürgermeister und weiteren Bürgern des Ortes mit einem Gespräch eingeweiht. Das strukturierte Gespräch an diesem Tisch, so auch die Idee, hatte das spannungsvolle Thema von regionaler Wertschätzung und regionaler Wertschöpfung. Der zweite Ort, wo unser Runder Tisch aufgestellt wurde, war in Geisa in der Rhön direkt auf der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze am Point Alpha unter Beteiligung von Bürgern aus alten und neuen Bundesländern dieser Region. Danach wurden wir von den Eltern eines Tourmitglieds in der „Geisschänke“ des Ortes großartig bekocht. Aber das kann bereits nach zwei Sitzungen des Runden Tisches gesagt werden: Der Gesprächs- und Handlungsbedarf zu diesen Themen ist riesig, wie insbesondere die vitalen bilateralen Gespräche im Anschluss zeigten. Es war sehr spannend, in diese Dialogform einzutreten. Noch spannender wird sein, wie sich das von unserer Hochschule weiterentwickeln lässt. Am HTWK-Institut für Regionale Wertschöpfung, das den Großteil des Materials finanziert hat, gibt es bereits einige gute Ideen dazu.

Rektor Prof. Müller zum Radtour-Erlebnis:
„25 Jahre HTWK-Radtour – das heißt auch: 25 Jahre HTWK-Teamgeist! Von diesem Elan, der Freude am Radfahren und dem gemeinsamen Erlebnis in der Natur habe ich mich gerade erst selbst anstecken lassen.
Die erste Etappe hat mir wertvolle Gelegenheiten eröffnet, intensive Gespräche mit Alumni, Studierenden und Mitarbeitenden zu führen. In dieser entspannten Atmosphäre entstehen Einsichten und Perspektiven, die mir im normalen Hochschulalltag so nicht zugänglich wären – ein unschätzbarer Gewinn für meine Arbeit als Rektor.
Die HTWK Leipzig ist zuhause in der Region, die in diesem Jahr er-fahren wurde. Ich freue mich sehr über diese Initiative zum gemeinsamen Sporttreiben, für Netzwerken und Austausch – nicht nur untereinander, sondern auch mit den Menschen vor Ort.
Gleichzeitig sehe ich in Events wie der Radtour großes Potenzial für eine stärkere Verzahnung mit unseren Studiengängen. Die Organisation der Tour, die journalistische Begleitung, die Öffentlichkeitsarbeit – all das kann wertvoller Praxisteil von Studiengängen der Hochschule sein. Studierende sammeln dabei authentische Erfahrungen, und die HTWK als Gemeinschaft profitiert von diesem lebendigen Miteinander.
Mein Dank gilt Prof. Rüdiger Ulrich und allen, die die HTWK-Radtour mit so viel Herzblut in jedem Jahr wieder organisieren und damit diese besondere Tradition am Leben erhalten.“


Gelebtes Miteinander
Es war eine sehr intensive Woche. Wenn man miterlebt hat, wie sich die soziale Dynamik in einer solchen Radtour-Woche vollzieht, wenn man sich die gewaltige Leistung des Organisationteams dieser Radtour vergegenwärtigt, wenn man bemerkt, wie selbstverständlich Alumni und aktiv Studierende unserer Hochschule in den Austausch treten, wenn man sieht, wie gut vorbereitete Kommilitonen ihre Heimatregionen der gesamten Gruppe vorstellen, wenn man wahrnimmt, wie nahezu geräuschlos und harmonisch am Ende der Woche die Zusammenarbeit (Aufbau, Abbau, Kochen, Säubern usw.) der Kommilitonen geschieht – auf Zeltplätzen sieht man in den Gesichtern der Camper häufig nur staunende Verblüffung – kurz, wenn man all das Sichtbare und Unsichtbare dieser Woche in Erwägung zieht, scheint es angemessener zu sein, weniger von einer Radtour, als vielmehr von einer sozialen Bewegung zu sprechen. Sie hat in unserer heutigen Gesellschaft großen Seltenheitswert.
Ich danke dem Organisationsteam, allen beteiligten Kommilitonen, Kollegen, Mitarbeitern und Unterstützern für diese außerordentliche Augustwoche! Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Dinge seit nunmehr 25 Jahren erleben darf.
#mehrerfahren
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