„Es bräuchte mehr Zeit für Recherche“
22. August 2024
Die Medien und wir: Das aktuelle Buch von HTWK-Professorin Gabriele Hooffacker sensibilisiert für die eigene Mediennutzung.
Demokratie lebt von Meinungsvielfalt – Artikel 5 Abs. 1 unseres Grundgesetzes schreibt der Meinungs- und Informationsfreiheit zentrale Bedeutung zu. Doch die Gesellschaft und damit auch die Medien befinden sich in einem Spannungsfeld von sogenannten „Bubbles“, die Zahl der Ausspiel-Kanäle nimmt stetig zu, Deutungshoheiten werden hinterfragt bzw. in immer kürzeren Abständen neu verhandelt. Was bedeutet das für unsere Mediennutzung – und für wichtige politische Ereignisse wie die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September? Gabriele Hooffacker, Professorin für medienadäquate Inhalte, im Gespräch zu ihrem aktuellen Buch.
Der Titel Ihres Buches lautet: "Warum wir die Medien nicht verstehen - und sie uns nicht". Ist das wirklich so? Wenn ja, warum?
GH: Es ist eher Unwissenheit, glaube ich. Über den Zugang zum Journalismus-Beruf etwa geistern sonderbare Vorstellungen herum – und nein, es gibt keine Gesinnungsprüfung und keine staatliche Zulassung. Der Zugang ist gemäß Artikel 5 Grundgesetz frei. Man wollte die Fehler der NS-Zeit mit ihrer Lenkung der Medien vermeiden. Auf der anderen Seite ärgern sich Journalistinnen und Journalisten über unberechtigte Kritik. Don’t shoot the messenger!
Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Buch gekommen?
GH: Im Gespräch mit Redaktionen habe ich manchmal leise Verzweiflung bis hin zur Resignation bemerkt: „Wir machen doch alles, um unterschiedliche Positionen zu Wort kommen zu lassen, und dann ist es dem Publikum wieder nicht recht …“. Wenn man den „Hostile Media Effect“ kennt, dass nämlich die meisten Menschen ihre eigene Position gern in den Medien sehen – eine, die dem eigenen Verständnis widerspricht, hingegen nicht so sehr, versteht man plötzlich sein Publikum besser und kann die Kritik einordnen. Dieser Effekt ist übrigens umso stärker, je ausgeprägter die eigene Position ist.
Warum ist das ein Problem?
GH: Es gibt jede Menge berechtigter Kritik an Medien und Journalismus. Sie hilft den Redaktionen, besser und genauer zu werden. Aber Pauschalkritik, die „den Medien“ unterstellt, nur die Position „der Herrschenden“ (wer immer das sein soll) zu verbreiten, ließe sich aber auch als Beginn einer Verschwörungserzählung lesen. Eine solche Vereinfachung hilft niemandem.
Warum ist Diskurs so wichtig? Warum tut es einer Demokratie gut, unterschiedliche Meinungen auszuhalten?
GH: Journalismus soll der Gesellschaft helfen, sich selbst besser zu verstehen, und eine gute Basis für anstehende gesellschaftliche Entscheidungen zu bekommen. Dazu muss man miteinander reden, auch wenn es anstrengend sein kann, sich mit jemanden mit einer komplett anderen Einstellung auszutauschen. Aber nur so lassen sich Lösungen aushandeln und finden, mit denen alle leben können. Verhandlungen und Kompromisse sind in Zeiten von Populismus und Hate speech leider gar nicht leicht zu vermitteln. Deshalb möchte ich beide Seiten ansprechen: die engagierten Menschen in den Redaktionen einerseits, die nachdenklichen Menschen im Publikum andererseits.
Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell größten Herausforderungen für die Medien?
GH: Immer weniger Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen stehen immer mehr hoch bezahlten Menschen in der PR (Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen) gegenüber. PR-Strategien etwa der Energieversorger, der Automobilwirtschaft oder der Gesundheitsindustrie zu durchschauen, ist auf Anhieb fast nicht mehr möglich. Da hilft auch noch mehr KI-Einsatz in den Redaktionen wenig. Es bräuchte nicht weniger Zeit für Recherche, sondern mehr!