Der etwas andere „Jo-Jo-Effekt“
Wenn Maschinenbau auf Nachhaltigkeit trifft, ergeben sich spannende Anwendungsfelder...
18. März 2024
...insbesondere dann, wenn aus einem studentischen Praxisprojekt ein Workshop wird, der Schülerinnen und Schülern die Ingenieurwissenschaften spielerisch näherbringt. Ein besonderes Beispiel für die Verzahnung von Studium und Praxis ist die Studienarbeit von Master-Student Hermann Winter. Auf der Suche nach einer Einsatzmöglichkeit für sein Studienprojekt im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen - Maschinenbau, fiel seine Wahl auf die „Kunststofferei“ Leipzig. Der Kontakt kam durch einen Gastvortrag im Rahmen einer Lehrveranstaltung zustande. Im Interview erklärt er, wie er zum Ingenieurwesen gekommen ist und was er mit seinem Know-how zu einem Bewusstseinswandel im Bereich Kunststoffrecycling beitragen kann.
Denken wir uns einmal an Ihre Anfänge zurück: Wieso ist Ihre Wahl auf das Ingenieurwesen gefallen?
HW: Mein technisches Interesse wurde bereits in jungen Jahren durch Familienmitglieder geweckt und später durch meine Leidenschaft für Oldtimer vertieft. Zur tatsächlichen Studienentscheidung haben verschiedene Praktika und Schnuppertage während meiner Schulzeit beigetragen. Das ist auch der Grund, weshalb ich selbst Workshops gebe: je früher man sowohl Bewusstsein als auch Begeisterung für bestimmte Themen wecken kann, desto besser!
Und wie ging es dann weiter?
HW: In Berlin habe ich schließlich ein duales Maschinenbau-Bachelor-Studium parallel zu einer Industriemechaniker-Ausbildung absolviert. Es war klar für mich, dass ich im Anschluss an ein Auslandsjahr unbedingt in Leipzig weiterstudieren möchte. Ich finde es hier viel lebenswerter als in der Hauptstadt. Außerdem sprach mich auch die Mischung aus Wirtschaftsingenieurwesen mit Modulen aus dem Maschinenbau an. Ich mag die praktische Arbeit und wende Erlerntes gern direkt auch wieder an. Dafür eignen sich natürlich Projektarbeiten, in denen man eigene Ideen und Ziele verfolgen kann. Manchmal ergeben sich Kooperationen und damit noch mehr Nähe zu einer tatsächlichen Anwendung. Meine Arbeit "Entwicklung eines Jo-Jo Spritzgusswerkzeugs und anschließende Workshopkonzeption mit der Kunststofferei Leipzig" ist ein Beispiel dafür.
Vom Hörsaal in den Workshop
Wie sind Sie auf die „Kunststofferei“ gekommen und was hat diese mit Ihrem Projekt zu tun?
HW: Die Gründer der „Kunstofferei“ Philip Ruthig und Christian Berens hielten im zweiten Semester im Modul "Polymerwerkstoffe / Faserverstärkte Kunststoffe" einen Vortrag zum Thema Recycling. Sie erklärten, dass sie in ihrer offenen Werkstatt Workshops geben, die zeigen, wie man Kunststoffabfälle in nützliche Produkte verwandeln kann. Prof. Böhm betreute das Modul und stellte den Kontakt mit den Gründern des Kollektivs her. Ich fand die beiden und ihren Vortrag sehr inspirierend, da sie so ein Projekt auf die Beine stellten, obwohl sie weder Hintergründe im Maschinenbau noch im Kunststoffwesen hatten.
Diese Begegnung schien Sie beeindruckt zu haben - verfolgen Sie das Thema Nachhaltigkeit schon länger?
HW: Auf jeden Fall! Kunststoffabfälle sind lokal und global ein großes Problem. Es braucht deswegen umso mehr Recycling-Ideen und auch Aufklärung. Als Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung hatte ich bereits ein größeres Seminar im Rahmen eines Fachclustertreffens mitorganisiert, das in eine ähnliche Richtung ging. Dieses fand unter der Überschrift „Sustainable Engineering – der Ingenieursberuf im Trend der Nachhaltigkeit“ statt.
Meine Projektarbeit im Rahmen des Studiums sollte sich mit Kunststoffspritzguss beschäftigen und Prof. Böhm sollte diese betreuen. Da war es nur naheliegend mit der „Kunststofferei“ zu kooperieren. Ich wollte ein Werkzeug konstruieren, berechnen, herstellen und anwenden – und zwar möglichst mit dem Ziel, einen nachhaltigen Beitrag zur Ressourcennutzung zu leisten.
#gutzuwissen
Spritzgießen kurz erklärt
Spritzgießen ist ein weitverbreitetes Verfahren in der Kunststoffverarbeitung, das die kosteneffiziente und präzise Massenproduktion von Kunststoffprodukten in unterschiedlichsten Formen und Größen ermöglicht. Dabei wird geschmolzenes Kunststoffmaterial in eine spezielle Form - die Spritzgussform - eingespritzt. Der Hohlraum wird dabei als Kavität bezeichnet. Das geschmolzene Kunststoffmaterial wird unter hohem Druck in die Form eingefüllt, nimmt dabei deren Konturen an und kühlt anschließend ab. Sobald der Kunststoff ausgehärtet ist, wird die Form geöffnet, und das fertige Kunststoffteil kann entnommen werden.
Das Projekt wurde von Hermann Winter in Zusammenarbeit mit der HTWK Leipzig und der Kunststofferei Leipzig im Rahmen einer eigenständigen Projektarbeit durchgeführt. Es wird angestrebt, die Kooperation zwischen der HTWK Leipzig und dem offenen Kollektiv im Rahmen verschiedener Projekte weiter auszubauen und zu intensivieren.
Projektidee: Jo-Jo als Anschauungsobjekt für einfaches Recycling von Thermoplasten
Was hat es mit dem Jo-Jo auf sich?
HW: Aus meiner Sicht eignet sich ein Spielzeug wie ein Jo-Jo unheimlich gut, um zu veranschaulichen, wie Kunststoffabfälle zu einem Gebrauchsgegenstand werden können. Außerdem kann jeder etwas damit anfangen.
Können Sie uns ein bisschen in die technischen Hintergründe schauen lassen?
HW: Die CNC-gestützte Fertigung des Spritzgusswerkzeugs erfolgte mit den technischen Mitteln der HTWK Leipzig. Dabei wurden aus einer Aluminiumtafel die obere und untere Kavität – also der Hohlraum, in den später die geschmolzene Kunststoffmasse läuft – gefertigt. Vorherige, im 3D-Druck entstandene, Prototypen dienten zur Auswahl und Versuchsausführung des Jo-Jos. Inhalt der Projektarbeit war neben der Konstruktion und Fertigung des Jo-Jo-Spritzgusswerkzeugs die Simulation des Kunststoffverhaltens in der Kavität des Werkzeugs. Diese „Moldflowanalyse“ (Füllsimulation) wurde zur Optimierung der Angussgeometrie genutzt. Dabei stand mir Laboringenieur Lukas Kube mit Rat und Tat zur Seite. Es ist toll zu sehen, wie eine Idee mit Unterstützung plötzlich Form annimmt.
Wie wird daraus ein Workshop?
HW: Mein Werkzeug habe ich bereits an die „Kunststofferei“ übergeben und es wird dort auch schon benutzt. Workshops ähnlicher Art werden dort natürlich regelmäßig abgehalten - allerdings ohne Bezugnahme auf technisches Hintergrundwissen und ingenieurtechnischen Arbeit im Allgemeinen. Hier liegt mein besonderer Fokus.
Zu guter Letzt benötigt man finanzielle Unterstützung für die Workshop-Realisierung. Diese habe ich glücklicherweise durch das „Forum Nachhaltiges Leipzig“ erhalten.
Das klingt nach klassischem Edutainment - was genau passiert denn im Workshop?
Es handelt sich um ein Mitmachangebot für Schülerinnen und Schüler ab der 6. Klasse. Wir zeigen, wie Industriebehälter aus Polypropylen vor Ort geschreddert und je nach Farbwahl in der Spritzgussmaschine aufgeschmolzen werden. Die Behälter bilden das Ausgangsmaterial - stellvertretend für jeden anderen Kunststoffabfall. Den Teilnehmenden wird durch eine vereinfachte CAD-Konstruktion und Werkzeuganalyse der Ingenieurberuf nähergebracht. Die Schülerinnen und Schüler können so ihre eigenen Jo-Jos gestalten und mit nach Hause nehmen. Der Workshop vermittelt wichtige Konzepte nachhaltigen Konsums und bietet praktische Erfahrungen und Einblicke in ingenieurwissenschaftliche Disziplinen.
Möchten Sie zum Abschluss noch ein paar Worte loswerden?
Die Bewusstseinsstärkung für nachhaltigeres Handeln ist mir ein Anliegen - vor allem, weil ich weiß, was ich mit meiner Ausbildung dazu beitragen kann, das Problem bereits während der Produktion von Produkten mitzudenken. Ideen für einen Kunststoffverwertungskreislauf gibt es unendlich viele - Kinder und Jugendlichen sollten früh daran herangeführt werden, selbst innovative Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu mitzugestalten.
Vielen Dank für das Interview!
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Kontaktieren Sie den Betreuer der Projektarbeit
Laboringenieur
Oder wie wäre es mit dem passendem Studium?
Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau/Energietechnik (M.Sc.)