Eine Reise durch die Magazinbestände des Automatik-Museums
„Das kennst du gar nicht mehr, oder?“, fragt Kirsten Frese den elfjährigen Elias und hält eine Diskette in der Hand. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, was man früher damit gemacht hat, schüttelt Elias den Kopf. „Als ich so alt war wie du, haben wir ein Spiel gespielt, bei dem man Punkte in einem Labyrinth fressen musste…“ „Das kenne ich!“, unterbricht sie Elias. Doch dass man, um Pac-Man zu spielen, vier bis sechs solcher Disketten brauchte, kann er nicht so richtig nachvollziehen.
Nach dem Urlaub hat die Familie auf ihrer Heimreise nach Bayern noch einen Halt in Leipzig eingelegt, um im Automatikmuseum vorbeizuschauen. „Wir besuchen Verwandte in Leipzig und wollten den Tag nutzen, um etwas Interessantes zu unternehmen – dabei sind wir auf die einmalige Gelegenheit aufmerksam geworden, das Automatikmuseum zu besichtigen“, sagt Kirsten Frese. Zu den Tagen der Industriekultur öffnet dieses jährlich die Türen seines Magazins für alle Neugierigen. Zwar ist ein (Bruch-)Teil der Sammlung dauerhaft in der VDI GaraGE Leipzig – einem Technologiezentrum für Kinder und Jugendliche – zu besichtigen, der weitaus größere Teil schlummert jedoch die meiste Zeit des Jahres ungesehen und unberührt in seinem Depot: auf dem Dachboden des Wiener-Baus der HTWK Leipzig. Vor allem Geräte zum Messen, Steuern und Regeln ruhen hier, da diese Vorgänge grundlegend für die Automatisierungstechnik sind.
So zum Beispiel die 120 Jahre alte Ringwaage. Sie ist für Diplomingenieurin Cornelia du Puits vom Institut für Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik das „Goldstück“ der Sammlung. Diese Waage misst Druckunterschiede in Flüssigkeiten und gasförmigen Medien. „Das Prinzip ist sehr einfach und die Waage ist vom technischen Aspekt betrachtet sehr interessant“, sagt du Puits. Auch der Analogrechner liegt ihr am Herzen: „In meinem Studium der Automatisierungstechnik mit der Spezialisierung auf Regelungstechnik haben wir so einen noch benutzt.“ Er ist der Vorgänger des elektronischen Computers.
Ein ganz anderes Interesse bringt Lehrerin und Künstlerin Sabine Grundmann aus Mecklenburg-Vorpommern mit: „Mich reizt vor allem die Ästhetik der Dinge hier. Früher haben sich die Leute wirklich viel Mühe damit gegeben, die Dinge, die sie bauen, schön aussehen zu lassen. Wenn ich mir die Geräte jetzt anschaue, empfinde ich dabei eine richtige Ehrfurcht.“ Sie ist mit ihrem Vater gekommen – einem studierten Chemiker, der selbst historische Gerätschaften seines Fachgebiets sammelt. Und mit ihrer Einschätzung hat Sabine Grundmann Recht. Nicht nur die Geräte an sich, auch das Drumherum – die hölzerne Dachkonstruktion, die vielen Schränke und Kartons – vermitteln ein Ambiente zwischen Großmutters Dachboden und Museumskeller. Das lädt zum Herumstöbern ein und erweitert den Horizont um das wertvolle Wissen längst vergangener Tage – auf sehr anschauliche Weise.
Wer den Tag der offenen Automatik-Museumstür in diesem Jahr verpasst hat, muss bis zum nächsten Jahr warten. Reguläre Öffnungszeiten gibt es nicht, denn die Sammlung gehört zur Hochschule und wird nicht als eigenständiges Museum betrieben. Doch Cornelia du Puits verrät: „Wirklich interessierten Besuchern gewähren wir Zutritt auf Anfrage – einfach anrufen!“ Diese Einladung gilt jeder und jedem – auch denen, die mit Automatik und Automatisierung bisher wenig zu tun hatten. Denn Kirsten Frese hat Recht, wenn sie sagt: „Wenn es das damals alles nicht gegeben hätte, würden wir heute kein Handy in der Hand halten.“
Text und Fotos: Maren Petrich