Erlebnispädagogik: Soziale Arbeit auf den Spuren Kurt Hahns im Leipziger Auwald
An drei Nachmittagen im Juni 2019 blieb der Seminarraum des Seminars „Soziale Arbeit mit Gruppen“ im Lipsiusbau leer. Schuld daran waren nicht mangelnde Studiermotivation wegen sommerlicher Temperaturen oder die bald beginnende Prüfungszeit. Vielmehr trafen sich die Studierenden des zweiten Semesters im Studiengang Soziale Arbeit (B.A.) mit Robert Schiffler und Janice Rogalla vom HTWK-Hochschulsport im Leipziger Auwald, um vier Stunden lang Erlebnispädagogik selbst auszuprobieren und aktiv kennen zu lernen.
Hochschulsport und Fakultät kooperieren
Seit einigen Jahren kooperiere ich an der Fakultät Architektur und Sozialwissenschaften mit dem Hochschulsport der HTWK im Themenbereich Erlebnispädagogik des Seminars Soziale Arbeit mit Gruppen. Begonnen hat es im heißen Sommer 2016 als „Testballon“ in der HTWK-Sporthalle: Studierende durften sich hier erstmals unter professioneller Anleitung im Balancieren und Klettern ausprobieren und selbst erkunden, wie sich diese erlebnispädagogischen Medien für die Soziale Arbeit mit Gruppen nutzen lassen. So wurde beispielsweise gemeinsam auf (umgekehrten) Bänken und auf der Slackline balanciert, blind und geführt an der Boulderwand geklettert, Klettergurte angelegt und in der Gruppe erprobt. Einige Studierende liefen in Hüfthöhe auf dem Seil, während die restliche Gruppe das Seil durch Karabiner am Klettergurt stabilisierte und andere wiederum die Laufenden stützten. Und zum Teil wurden auch die schwindelerregenden Höhen der Kletterwand erklommen und von unten gesichert.
„Es war schön im stressigen zweiten Semester, den Lernstoff mal anders zu erschließen und in Bewegung zu sein, auch in der Gruppe Spaß zu haben und etwas zusammen auszuprobieren, was viele noch nicht kannten“, sagte eine Studentin in der Auswertungsrunde. „Erst jetzt habe ich eigentlich erst verstanden, worum es in der Erlebnispädagogik so richtig geht. Nach dem reinen Lesen des Textes für das Seminar war mir das noch nicht so klar“, pflichtete ein Kommilitone ihr bei.
Ich selbst freue mich vor allem über die Entwicklungen, die ich an den Studierenden und in der Gruppe wahrnehmen kann - manchmal in Form eines Leuchtens in den Augen, nachdem sie sich selbst durch das Bewältigen eines Hindernisses überrascht haben oder auf unerwartete Weise mit der Gruppe nach einem Konflikt zusammengewachsen sind.
Die Welt als Lernprinzip, die Natur als Lehrmeisterin
Die Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte ganzheitliche Methode der Sozialen Arbeit, die vor allem in der Kinder- und Jugendhilfe verbreitet ist. Das Lernen findet dabei vorrangig als gruppenpädagogisches Arrangement in „Situationen mit ernsthaftem Erlebnischarakter“ statt – oft in der Natur. Ihre Wurzeln gehen bis auf Jean-Jaques Rousseau und David Henry Thoreau zurück, deren Idee es war, die Welt als Lernprinzip anstelle belehrender Formen erzieherischen Handelns einzusetzen. Darauf baute zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Begründer der modernen Erlebnispädagogik auf: Kurt Hahn beobachtete bei vielen Menschen in modernen Gesellschaften große Defizite sozialer Fähigkeiten wie menschlicher Anteilnahme, Aufmerksamkeit und Spontaneität sowie das Verfallen von körperlichen Fähigkeiten. Um dem entgegen zu wirken, entwickelte er mit der Erlebnispädagogik eine der bis heute beliebtesten pädagogischen Methoden.
Durch unser erlebnispädagogisches Exkursionsangebot an der Fakultät AS können unsere Studierenden Wirkungsweisen der sozialen Gruppenarbeit/ Gruppenpädagogik und Erlebnispädagogik selbst erfahren: etwa, wie aus persönlichen Ängsten, Schwächen und Grenzen durch die Gruppe eine Weiterentwicklung ermöglicht werden kann, welche Effekte es haben kann, von einer Gruppe unterstützt und - auch buchstäblich – getragen zu werden oder wie Gruppenabläufe konstruktiv verhandelt und mit Respekt, Achtsamkeit und Spaß umgesetzt werden können. Nun sind schon fast drei Jahre vergangen. In jedem Sommersemester haben wir das Exkursionsangebot bisher wiederholt, inhaltlich aufgefrischt und teilweise auch an andere Orte, wie die Neue Harth am Cospudener See oder in diesem Jahr in den Leipziger Auwald, verlegt. Robert Schiffler sagt rückblickend: „Immer verband uns bei allen Aktionen der gemeinsame Wunsch draußen zu sein. Hier entfaltet Erlebnispädagogik ihre ganze Kraft. Die Natur als Lehrmeisterin anzuerkennen, wird heutzutage wichtiger denn je. Wenn Dich die Mücke im Auwald piekt, setzt dieser kleine Blutsauger ein Achtungszeichen. Mensch… Du bist Teil eines großen Ganzen, bewahre es!“. Unsere Kooperation soll auch im Sommersemester 2020 wieder zustande kommen – die Rückmeldungen und Lernerfolge der Studierenden, die an der Exkursion teilgenommen haben, geben uns Recht.