Was dem einen sein „Maschendrahtzaun“, ist dem anderen sein Knallerbsenstrauch. Oder der Birnbaum. Oder das Kartoffelbeet. Gründe für Nachbarschaftsstreitigkeiten gibt es viele. HTWK-Mitarbeiterin Isabell Engisch weiß das nur zu gut: Seit Mai 2017 ist sie Friedensrichterin.
Die Stadt Brandis hat rund 10.000 Einwohner. Die meisten davon, na klar, sind friedlich. Aber überall Sonnenschein, das gibt es weder hier noch anderswo. Und deswegen hat Isabell Engisch in ihrer Wahlheimat, rund 20 Kilometer östlich von Leipzig, nun für fünf Jahre das Ehrenamt als Friedensrichterin inne. Engisch, die in der Verwaltung/Vertragsbearbeitung der Fakultät Medien arbeitet, erzählt in unserer HTWK.story von ihren Beweggründen.
„Während meines Studiums – ich habe an der TU Bergakademie Freiberg Archäometrie bis Vordiplom und an der TU Chemnitz mittelalterliche Geschichte/Antike und Pädagogik studiert – war ich bereits mehr als fünf Jahre Jugendschöffin am Landgericht Chemnitz. Diese Zeit hat mich sehr geprägt“, sagt Isabell Engisch. „Als ich davon erfuhr, dass in Brandis das Amt der Friedensrichterin neu zu besetzen ist, fand ich das Thema sehr interessant und habe mich beworben.“
In der Folge konnte sich Isabell Engisch gegen ihre Mitbewerber durchsetzen und wurde mehrheitlich vom Stadtrat gewählt. Beim Direktor des Amtsgerichts Grimma wurde sie vereidigt, seit 1. Mai 2017 ist sie offiziell im Amt - und hat eigenen Aussagen zufolge „gut zu tun“:
„Hauptsächlich geht es um Probleme in der Nachbarschaft, wie zum Beispiel Grenzstreitigkeiten, was wiederum ganz eng mit meinem Promotionsthema in Verbindung steht“, sagt die HTWK-Mitarbeiterin, die zum Thema Streit- und Augenscheinkarten im 15./16. Jahrhundert – Abbildung und Umgang mit Grenzen in Manuskriptkarten (Arbeitstitel) promovieren will.
„Ganz klar ist für mich: Die meisten Leute reden zu wenig miteinander. Sie haben falsche Erwartungen und können Missverständnisse oft nicht selbst ausräumen. Wenn es mir als Friedensrichterin gelingt, dass Leute nach langer Zeit des Streits wieder miteinander ins Gespräch kommen und sich gemeinsam an einen Tisch setzen, dann ist man schon auf einem guten Weg“, so Isabell Engisch.
Es sei wichtig, sich in die Gemeinschaft einzubringen und ein Ehrenamt zu übernehmen. „Aktiv gestalten und teilhaben ermöglicht es erst, zu verstehen.“
Bereits während ihres Pädagogikstudiums hat sich Engisch mit dem Thema Mediation beschäftigt. Ausgebildete Mediatorin ist sie nicht, über den Bund Deutscher Schiedsmänner BDS nimmt sie jedoch regelmäßig an mehrtägigen Schulungsseminaren teil.
Jeden ersten Dienstag im Monat von 17 bis 19 Uhr hat sie Sprechzeit im Rathaus Brandis. Zusätzlich dazu finden die Verhandlungen statt. Manchmal reicht schon ein klärendes Gespräch, oder es kommt zu einem Vororttermin, einer so genannten Inaugenscheinnahme. Der Arbeitsaufwand der Friedensrichterin: rund zehn Stunden monatlich.
Wie läuft so ein Verfahren genau ab? Isabell Engisch erklärt: „In der Regel werde ich angerufen und um einen Termin gebeten, oder die Antragsteller kommen in die Sprechzeit. Ich höre mir die Probleme an und schätze ein, ob in dem Fall eine Verhandlung vor dem Friedensrichter sinnvoll ist. In manchen Fällen bin ich nicht zuständig oder die Problematik lässt sich auf anderem Weg lösen. In einer Verhandlung versuche ich auf jeden Fall ausgleichend zu agieren und mich in die Denkweise der Kontrahenten hineinzuversetzen. Wichtig ist, die Situation entsprechend einzuschätzen und nicht noch zusätzlich aufzuladen. Während der Verhandlung lösen sich die Parteien der Antragssteller und der Antragsgegner meistens auf und es sitzen zwei ‚Opfer‘ vor mir. Während der Verhandlung, die auch durchaus hitzig verlaufen kann, ist es wichtig, dass ich die Gespräche immer wieder darauf fokussiere: Warum sind wir heute hier? Was ist das Ziel? Wie kommen wir an das Ziel? Können beide Parteien das Resultat respektieren?“
Auch privat profitiert Isabell Engisch von ihrem Ehrenamt. Oder ist es umgekehrt? Denn die meiste Zeit verbringt sie – neben ihrer Arbeit an der HTWK Leipzig und dem Ehrenamt – auch mit Streit schlichten: „Wenn nicht als Friedensrichterin, dann zu Hause zwischen meinen beiden Jungs. Die sind 5 und 6 Jahre alt und befinden sich gefühlt 24 Stunden am Tag in einem Wettkampf oder im Streit“, sagt sie und lacht.
Hintergrund
Jeder Ort in Deutschland hat einen bzw. mehrere Friedensrichter. Diesem steht jedoch keine Entscheidungskompetenz zu, sondern er gibt den streitenden Parteien an einem neutralen Ort unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Möglichkeit einer offenen Aussprache. Unter dem Motto „schlichten statt richten“ wird in einer mediativen, also vermittelnden Gesprächsführung den streitenden Parteien geholfen, ihre Anliegen möglichst emotionsfrei darzustellen, die Ursache des Streites zu ermitteln und ihn beizulegen. Bei einem Schlichtungsverfahren geht keine Partei als Gewinner oder Verlierer aus einer Verhandlung hervor. Vielmehr gibt ein von beiden Seiten akzeptierter Vergleich allen Beteiligten die Möglichkeit, ihr Gesicht zu wahren und den Rechtsfrieden wieder herzustellen, damit die Beziehung unter den Nachbarn wieder besser werden kann.
Verfahren vor dem Friedensrichter können alle möglichen Delikte wie Beleidigung, üble Nachrede, Hausfriedensbruch, leichte Körperverletzung, Verletzung des Briefgeheimnisses, Bedrohung oder Sachbeschädigung sein. Am häufigsten werden Friedensrichter jedoch tatsächlich in Nachbarschaftsstreitigkeiten zu Hilfe gerufen. Neben dem kostenpflichtigen, formalen Schiedsverfahren gibt es außerdem die so genannten „Tür-und-Angel-Fälle“, bei denen ein klärendes Gespräch mit dem Friedensrichter oftmals Konflikte schon vor einer Verhandlung beseitigen kann. Die Verfahren vor dem Friedensrichter sind kostengünstig, die Kosten regelt jedes Schiedsamt individuell. Bei Isabell Engisch belaufen sich die Kosten in der Regel zwischen auf 50 bis 60 Euro, je nach Aufwand. Der Vergleich wird zu Protokoll gebracht, ist 30 Jahre lang gültig und kann bei Verletzung beim Amtsgericht vollstreckt werden. Außerdem ist das Verfahren zeitsparend und nachhaltig, wobei der Friedensrichter unter Eid zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet ist.
Friedensrichterin Isabell Engisch kann – neben ihrer Sprechzeit – unter der Rufnummer: 034292/65518 oder der E-Mailadresse: friedensrichter@stadt-brandis.de kontaktiert werden.
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Jubiläumsblog www.we-are-htwk.de. Die Aktions-Website zum 25-jährigen Bestehens der HTWK Leipzig wird mit Ablauf des Kalenderjahres nicht mehr aktualisiert - ausgewählte zeitlose Texte wie der hier vorliegende ergänzen aber künftig unsere HTWK.storys.