Von Fischen und Fröschen – Das Bleisatzpraktikum an der HTWK Leipzig befähigt zum Gautschen
Die Tür öffnet sich und ein Geruch nach Farbe und Metall strömt heraus. Nach einer kurzen Anwesenheitskontrolle geht es direkt mit viel Fachwissen los. „Im Winkelhaken setzen Sie nach und nach Ihre Zeilen. Der Frosch, also das bewegliche Teil in der Winkelschiene, fixiert diese dabei“, erklärt Professor Dr. Michael Reiche seinen Studierenden, die alle einen blauen Kittel tragen. Zusammen mit Professor Christian Ide ist er an der HTWK Leipzig einer der letzten, die das traditionelle Handwerk noch von Grund auf gelernt haben und weitergeben. Im Rahmen des Bleisatzpraktikums haben Studenten aus verschiedenen Studiengängen die Möglichkeit, die traditionelle Arbeitsweise zu erlernen und auszuprobieren. Ganz nebenbei erhalten die Teilnehmer des Bleisatzpraktikums eine ganz besondere Berechtigung, die nur wenige besitzen.

Etwa 575 Jahre sind nun vergangen, seit Johannes Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern etablierte. Man könnte meinen, dass diese Art des Druckens in der heutigen Zeit längst überholt und ausgestorben ist, da die Arbeit mit dem Computer diese traditionelle Technik, wie viele andere Handwerkskünste, obsolet gemacht hat. „Wenn man danach geht, ist heutzutage gar nichts mehr relevant, weil eine KI alles machen kann. Wenn man die Sachen schnell als irrelevant erklärt, werden sie auch ganz schnell irrelevant. Und deswegen finde ich es schon sinnvoll, dass wir das hier machen“, meint Tom, während er in einem Setzkasten nach dem richtigen Buchstaben sucht. „Ich finde es bisher eine schöne Sache. Ich mache aber auch gerne handwerkliche Dinge. Das Thema Drucken finde ich tatsächlich deutlich interessanter, als ich es zu Beginn gedacht hätte.“ Dabei sortiert er eine Letter aus einem in ein anderes Fach, denn manchmal befinden sich in den Setzkästen sogenannte Zwiebelfische. So nennt man im Buchdruckjargon falsch einsortierte Lettern.
Der Raum, in dem das Bleisatzpraktikum stattfindet, befindet sich im 2009 eingeweihten Medienzentrum der HTWK Leipzig, direkt neben einem modernen Kinosaal. „Bei der Planung wurde dieser Raum mitbedacht, und das ist auch gut so“, sagt Reiche. Das Inventar stammt unter anderem aus der Auflösung einer Lehrsetzerei am ehemaligen Standort am Rabensteinplatz. Besonders auffällig ist, dass die Schriftarten zwar benannt sind, die Schilder an den Kästen jedoch keinerlei Auskunft darüber geben, wie die Schrift aussieht. „In anderen Setzereien war das anders. Das musste man damals als Lehrling alles auswendig lernen. Genauso wie die Anordnung der einzelnen Lettern im Setzkasten.“ Diese Reihenfolge basiert nicht auf dem Alphabet, sondern wurde nach der Häufigkeit festgelegt, mit der ein Buchstabe benötigt wird – ähnlich der Anordnung der Tasten auf einer Schreibmaschine oder Computertastatur.
Trotz seiner vermeintlich geschwundenen Bedeutung ist der Bleisatz nach wie vor relevant – besonders, wenn es um die Gestaltung am Computer geht: „Wenn die Schriften gegossen werden, werden die Abstände zwischen den einzelnen Lettern von den Typografen ganz genau berechnet, sodass die Schrift gut leserlich ist, und diese Abstände kann ich später nicht mehr verändern. Am Bildschirm hingegen können Sie alles verändern. Wir können die Schrift nach jeder Seite ziehen, quetschen, wie auch immer – das geht beim Bleisatz nicht. Deswegen kommt beim Bleisatz eigentlich immer gute Typografie heraus. Es gibt ganz strenge Regeln, an die man sich halten muss.“ Ein Wissen darüber, wie das Setzen früher funktioniert hat, ist also auch für die Gestaltung eines digitalen typografischen Layouts eine gute Grundlage, die man sich aneignen sollte. „Ich hoffe, dass man im Bleisatzpraktikum eine Sensibilität gegenüber Schriften entwickelt. Im Bleisatzlabor lagern etwa acht Tonnen Blei für wenige Schriften. Auf Ihrem Computer haben sie unvergleichlich mehr Auswahl.“, sagt Reiche. Es liegt ihm besonders am Herzen, diesen Prozess erfahrbar, also anfassbar - begreifbar, zu machen. Deshalb sind es nicht nur Studierende der Druck-Studiengänge, die am Bleisatzpraktikum teilnehmen können, sondern explizit auch Interessierte aus anderen Medienstudiengängen. Einen außergewöhnlich hohen Andrang gab es dieses Jahr aus dem Studiengang Medientechnik. Etwa die Hälfte der Studierenden des Jahrgangs hat sich für das Bleisatzpraktikum eingeschrieben.


„Manchmal wehren sich die Kästen“, sagt Reiche, während er mit einem kräftigen Ruck einen Setzkasten aus einem Schrank zieht. „Ich habe einmal in meinem Leben mitbekommen, wie so ein Kasten heruntergefallen ist. Das möchte ich nicht noch einmal erleben. Das wäre der Super-GAU.“ Die Studenten beginnen, ihre eigene Visitenkarte zu setzen. Zuerst werden dabei die Kontaktdaten gesetzt. Während die Adresse und die Telefonnummer keine Herausforderung darstellen, gibt es ein erstes Problem beim @-Symbol: Als die Lettern 1960 gegossen wurden, hätte niemand etwas mit diesem Symbol anfangen können. Deshalb setzt man ersatzweise ein „at“ in zwei Klammern.
Nach dem Druck eines Korrekturabzugs wird es ernst. Auf das zuvor ausgewählte Papier wird eine ganz besondere Visitenkarte gedruckt: die Gautschberechtigung. Der traditionelle Gautschakt an der HTWK Leipzig findet jedes Jahr statt und setzt damit eine lange Tradition fort, die vor allem im Bereich Druck und Papierherstellung bekannt ist. Beim Gautschakt werden die Kornuten, früher ausschließlich Männer, heutzutage selbstverständlich auch Frauen, zunächst von den sogenannten Packern am Fliehen gehindert, bevor er schließlich in einen Bottich mit Wasser untergetaucht wird. Der Begriff „Gautschen“ stammt ursprünglich aus dem Vorgang des Handschöpfens bei der Herstellung von Büttenpapier. Dabei wird ein feuchter Bogen auf ein Trockenfilz durch ganz leichten Druck abgelegt, also „gegautscht“. Außerdem wird ein Reinigungstrunk verabreicht, so dass die „Kornuten“ von innen und vor außen gereinigt und von den Unreinheiten des Kornutendaseins befreit werden, wie es in dem traditionellen Text während der Gautschzeremonie heißt. Wer diese Prozedur erfolgreich überstanden hat, wird feierlich in den Kreis der Jünger Gutenbergs aufgenommen. Das Besondere dabei ist auch der Gautschbrief, den man als Bestätigung erhält. Dieser ist an der HTWK Leipzig ein ganz besonderer: „Das ist einer der schönsten in Deutschland, die es gibt. So einen Gautschbrief hat nicht jeder.“ Das Besondere dabei ist, dass man diese Auszeichnung in nur drei Stunden durch Teilnahme am Bleisatzpraktikum erwerben kann, ohne eine ganze Buchdruckausbildung durchlaufen zu müssen. „Früher musste man sieben oder später drei Jahre dafür arbeiten. Heute reichen drei Stunden im Bleisatz. Wir werden auch manchmal ein bisschen kritisiert von denen, die es noch richtig machen, aber es gibt kaum noch welche.“, merkt Reiche an, der als Gautschmeister die Zeremonie an der HTWK leitet.
Viele der Teilnehmer am Bleisatzpraktikum möchten am Gautschakt teilnehmen und sich gautschen lassen. Auch Tom freut sich auf den Festakt: „Ich wusste nichts vom Gautschen im Speziellen und ich wusste auch nicht, dass man das machen kann, wenn man hier das Bleisatzpraktikum gemacht hat. Aber ich finde das schön, weil wenn es keine Drucker mehr gibt und keine Setzer, dann gibt es eben auch keine Gautscher mehr. Oder keinen gegautschten Menschen mehr. Das klingt auf jeden Fall interessant und auch nach einer ganz lustigen Sache.“
Die Tradition zu bewahren und sie zugleich für möglichst viele zugänglich zu machen, wird durch das Bleisatzpraktikum möglich. Es ist eine gute Gelegenheit, die Grundlagen des Layouts zu erfahren und auch physisch zu erleben, denn auch wenn heutzutage fast kein traditioneller Buchdruck mehr stattfindet, basieren viele Denkweisen des modernen, computergestützten Layouts auf dieser über 500 Jahre alten Technik. Der Nebeneffekt der Gautschberechtigung wird sehr gut angenommen, und viele der Teilnehmenden freuen sich auf die Abkühlung im Bottich.
Das traditionelle Gautschfest findet am 11. Juni um 16 Uhr auf dem Parkplatz hinter dem Gutenbergbau statt.
Weitere Informationen: -→ Kalendereintrag zum Gautschfest 2025

Text: Leonore Ludolph und Nelson Ptak, Fotos: Nelson Ptak, beide Studierende an der HTWK Leipzig