Strukturen im Wandel
So begleiten Forschende der HTWK Leipzig den Strukturwandel
Strukturwandel – das Wort ist in aller Munde. Kaum ein Zeitungsartikel, eine politische Rede oder ein Forschungsantrag, der nicht darauf Bezug nimmt. Der Begriff vereint mehrere Dimensionen:
- eine sich langfristig ändernde Struktur der Wirtschaft eines Landes,
- einzelner Wirtschaftszweige
- sowie regionaler Wirtschaftsräume
– hervorgerufen durch eine Kombination politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen, gesellschaftlicher Veränderungen, technischen Fortschritts und zunehmend auch ökologischer Erfordernisse. Sinnbildlich steht dafür der endgültige Ausstieg aus der Förderung und Nutzung von Braunkohle in der Region, aber auch Themen wie der Klimawandel, die Digitalisierung oder der demografische Wandel sind Treiber von Strukturwandelprozessen.
Mit dem Strukturwandel auf allen Bedeutungsebenen durchläuft auch der Freistaat Sachsen seit Jahren einen steten Änderungsprozess. Hier liegen zwei von drei noch aktiven Braunkohlerevieren der Bundesrepublik. Somit ist es eines der Bundesländer, die am meisten betroffen sind, wenn nun künftig im Zuge der deutschen Energiewende und zur Erreichung globaler Klimaziele keine Braunkohle mehr gefördert und verstromt wird. Seit reichlich einem Jahrhundert ist der großräumige Braunkohleabbau in dieser Gegend verankert. Das hat die Natur, die Wirtschaft und letztlich auch die Menschen der Region nachhaltig geprägt.
Dabei hat der Strukturwandel im großen Stile bereits in den neunziger Jahren im Zuge der politischen Wende mit dem Ausstieg aus der Kohleveredlung begonnen: Innerhalb von zehn Jahren gingen 90 Prozent der Arbeitsplätze in diesem und in angrenzenden Industriezweigen verloren. Ab der Jahrtausendwende nahm dann die Energiewende mit der Förderung erneuerbarer Energien Fahrt auf. Seit den Energiewende-Beschlüssen im Jahr 2011 ist für Bergbaugesellschaften klar, dass sie sich bis 2030 aus ihren Kernkompetenzen heraus gänzlich neu aufstellen müssen – auch in Richtung erneuerbare Energien.
Begleitet wird der Strukturwandel mit milliardenschweren Förderungen der Europäischen Union, des Bundes und des Landes. Dabei liegt der Fokus auf der Entwicklung nachhaltiger Konzepte für die Wirtschaftsregion und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Zahlreiche Fördergelder fließen in Forschung und Entwicklung; auch die HTWK Leipzig begleitet im Verbund mit regionalen
Unternehmen und Instituten den Strukturwandelprozess und schafft so Grundlagen für eine Neuausrichtung der Region. Einige Forschungsbereiche mit Bezug zum Strukturwandel stellen wir Ihnen auf den folgenden Seiten vor.
Nachhaltiges Bauen mit Carbonbeton ...
Es gilt künftig, leichter, effizienter und ressourcenschonender zu bauen, um die Klimaziele zu erreichen. Für den hierzu unerlässlichen Paradigmenwechsel kann Carbonbeton einen wichtigen Beitrag leisten – er stellt eine der vielversprechendsten Innovationen dar, um die Baubranche zu verändern. Ähnlich wie der bislang meistverwendete Baustoff der Welt, der Stahlbeton, kann der noch relativ junge Verbundwerkstoff große Lasten tragen, wobei Bauteile aus Carbonbeton bei gleicher Leistungsfähigkeit viel dünner und leichter sein können als solche aus Stahlbeton. Dadurch wird nicht nur weniger Beton und damit weniger Zement, Kies, Sand und Wasser benötigt, sondern auch deutlich weniger Energie für Herstellung, Transport und Logistik.
Um den Weg des Werkstoffs in die breite Anwendung zu beschleunigen, arbeiten auch HTWK-Forschende an seiner Weiterentwicklung. Ein Meilenstein auf diesem Weg war 2022 die Eröffnung des Carbonbetontechnikums, einer weltweit einzigartigen Modellfabrik. Dort erforscht das Institut für Betonbau Lösungen für die automatisierte Fertigung von Bauteilen aus Carbonbeton und arbeitet an Leitfäden für das Bauen mit Carbonbeton, damit der Werkstoff zum Standard werden kann. In weiteren Projekten werden funktionalisierte Bauteile entwickelt, in denen Elektronik oder Heizelemente verbaut sind.
... und mit Holz
Ein weiterer Hoffnungsträger für mehr Nachhaltigkeit beim Bauen ist Holz: In seiner Verarbeitung und Nutzung ist der traditionsreiche Baustoff deutlich klimafreundlicher als der energie- und ressourcenintensive Stahlbeton. Die Nachfrage nach Holzbauten wächst stark. Gleichwohl sind die bekannten Bauweisen kaum geeignet, die bestehenden Bedarfe zu decken, da auch Holz als nachwachsender Rohstoff nur begrenzt zur Verfügung steht und die Konkurrenz um dessen industrielle Nutzung zunimmt.
Wie das Bauen mit Holz sparsamer und damit effizienter werden kann, erforscht die Forschungsgruppe FLEX seit zehn Jahren an der HTWK Leipzig: Sie entwickelt digital basierte Herstellungskonzepte für kreislauffähige Konstruktionen, die mit weniger Holz auskommen. Vom Wiederbeleben der Zollinger-Dachbauweise über die Nutzung robotischer Systeme in der Verarbeitung bis hin zu Augmented-Reality-Brillen in der Montagehalle – die Forschungsgruppe denkt den Holzbau digital inspiriert neu.
Künftig können die Forschenden unterschiedliche Fertigungsszenarien deutlich umfänglicher ausprobieren: Im neuen HolzBauForschungsZentrum der Hochschule wollen sie ab Sommer 2024 das individuell automatisierte Bauen mit Holz im Realmaßstab weiterentwickeln und neue Technologien in die Anwendung bringen.
Erneuerbare Energie dank Photovoltaik ...
Die Energieversorgung in Deutschland befindet sich in einem grundlegenden Wandel – hin zu mehr Klimaverträglichkeit. Dafür muss sie unabhängig von fossilen Energien werden. Bis 2030 sollen erneuerbare Energien mindestens 80 Prozent des Stromverbrauchs decken, aktuell sind es 60 Prozent. Neben Energie aus Wind spielt Solarenergie eine zentrale Rolle. Der Anteil von Photovoltaik an der Bruttostromerzeugung liegt derzeit bei zwölf Prozent – und dieser steigt. Grund dafür sind die sinkenden Kosten für Photovoltaikanlagen und die gute Verfügbarkeit. Zugleich hilft auch die Forschung dabei, Photovoltaikanlagen stets weiter zu verbessern.
Forschende der Ingenieurwissenschaften an der HTWK Leipzig arbeiten beispielsweise daran, die Qualitätskontrolle und den Betrieb von Solarzellen zu optimieren und damit die Energieausbeute zu steigern. Auch mit Agri-Photovoltaik, dem Nutzpflanzenanbau unter oder neben Photovoltaikanlagen, befassen sie sich. Ebenso mit senkrecht installierten, bifazialen Solarmodulen. Diese nutzen auf beiden Seiten insbesondere die auf- und untergehende Sonne und verschieben die Verfügbarkeit der Solarenergie in die wertvollen Morgen- und Abendstunden. Um die Wirkung von Sonnenenergie als neuen Energielieferanten bestmöglich zur Geltung zu bringen, arbeiten die Forschenden zudem an einer Weiterentwicklung der Stromnetze: auch diese müssen leistungsfähiger, flexibler und intelligenter werden.
... und Wasserstoff
Grüner Wasserstoff gilt als wichtiger Baustein der Energiewende: Er kann mittels gekoppelter Strom- und Wärmeerzeugung zur Erhöhung der Versorgungssicherheit und zum Klimaschutz beitragen. Denn Wasserstoff kann aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt, anschließend transportiert, gespeichert und jederzeit wieder in andere Energieformen umgewandelt werden. Die Anwendungsmöglichkeiten sind sehr vielfältig. Wenn grüner Wasserstoff günstig verfügbar ist, wird er sich viele Einsatzgebiete in der Industrie und bei der Absicherung der Energieversorgung erschließen.
Das Gas hat aber besondere Eigenschaften: Es ist das leichteste chemische Element und kommt gebunden im Wasser auf der Erde in großen Mengen vor. Zudem ist es im Gemisch mit Luft schnell entflammbar und kann aufgrund der geringen Molekülgröße Materialien leicht durchdringen. Seit Jahren arbeiten Wissenschaft und Wirtschaft daran, die Wasserstoffnutzung technisch sicher und zugleich wirtschaftlich zu gestalten. Die HTWK Leipzig forscht insbesondere zur Gasversorgungstechnik: So demonstrieren Forscher mit Partnern im Wasserstoffdorf in Bitterfeld-Wolfen, wie das Gas gefahrlos transportiert werden kann. Bisher zeigte sich, dass bestehende Erdgas-Verteilleitungen aus Kunststoff für Wasserstoff nutzbar sind. Eine Nachwuchsforschungsgruppe arbeitet hierzu auch an speziellen Sensoren zur Überwachung der Wasserstoffkonzentration im Erdgasnetz. In anderen Projekten untersucht die Hochschule mit Partnern den Betrieb von Wasserstoffturbinen im Energiesystem-Verbund und entwickelt für wasserstoffbetriebene Kraftwerke Betriebskonzepte.
#gutzuwissen
Zahlreiche weitere Forschungsprojekte, die den Strukturwandel begleiten, finden Sie ebenfalls im Forschungsmagazin Einblicke 2024 sowie im HTWK.magazin:
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Dieser Text erschien zuerst im Forschungsmagazin Einblicke 2024 der HTWK Leipzig. Hier können Sie das Magazin digital lesen oder kostenfrei abonnieren.