Gut vernetzt in die Zukunft
Trimodale 5G Pionierregion
12. September 2024
Selbstfahrende Autos, Drohnen zur Flugzeuginspektion und Roboterhunde am Flughafenzaun – all das ermöglicht die Netztechnologie 5G. Ein Forschungskonsortium testet im Leipziger Norden zwischen Flughafen, DHL-Paketzentrum und BMW-Werk die Netztechnologie und untersucht potenzielle industrielle Anwendungen.
Dass Hunde gute Wächter sind, ist altbekannt. Dieser jedoch ist besonders: Der Roboterhund von Boston Dynamics läuft Schritt für Schritt den Zaun des Flughafens Leipzig/Halle ab und filmt dabei jeden Winkel. Die Bilder werden in Echtzeit analysiert, um Schäden im Zaun zu detektieren, und eine Auswertung an die Flughafenwache geschickt. Möglich macht das die Netztechnologie 5G. Der Mobilfunkstandard der fünften Generation löst den Vorgänger LTE ab. Dank der deutlich schnelleren Datenübertragung und geringeren Latenz, also Verzögerungszeit, erlaubt er völlig neue Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Geräten und wird dem sogenannten Internet of Things zu einem weiteren Wachstum verhelfen.
Welche potenziellen Einsatzmöglichkeiten praktisch umsetzbar und welche Netzanpassungen dafür nötig sind, erforschen die Universität Leipzig, die Technische Universität Dresden und die HTWK Leipzig seit 2021 im Forschungsprojekt „Tri5G“ in enger Zusammenarbeit mit Partnern aus der Praxis. „Tri“ steht dabei für trimodal und meint die potenziellen Anwendergruppen der 5G-Technologie aus Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung sowie die im Projekt adressierten Verkehrswege Straße, Schiene und Luft. Große Unternehmen wie die BMW Group und DHL Express sowie öffentliche Infrastruktur-Dienstleister wie der Flughafen Leipzig/Halle und die Leipziger Verkehrsbetriebe beteiligen sich daran und definieren in Kooperation mit dem Dresdner Funkspezialisten Advancing Individual Networks und der Stadt Leipzig in 14 Anwendungsfällen eigene Anforderungen: Von automatisierten Drohnen über Tracking von Luftfrachtcontainern bis zum vernetzten Fahren. Die Anwender, die von 5G besonders profitieren können, ballen sich im Leipziger Nordraum. Dadurch ist dies eine für die Erforschung der Technologie besonders geeignete Modellregion. Gefördert wird das Forschungsprojekt noch bis Ende des Jahres vom Bundesverkehrsministerium.
Der Rand des Netzes
Die HTWK Leipzig analysiert und bewertet dabei die Schnittstelle zwischen dem 5G-Netz und dessen Anwendungen und ist im Projekt für Planung, Betrieb und Optimierung der notwendigen Netzinfrastruktur zuständig: von der Funkschnittstelle bis zur ins Mobilfunknetz integrierten Cloud. „Gerade hier liegt das Besondere an 5G“, so Michael Einhaus, HTWK-Professor für Mobilfunk und Hochfrequenztechnik und Leiter des Arbeitspakets „Netzinfrastruktur und Edge-Computing“: „Das Mobilfunknetz selbst dient als Cloud für die Daten: Der Trend ist, die Daten so schnell und effektiv wie möglich zu übertragen. Für autonomes Fahren beispielsweise dürfen wir keine große Latenz haben, hier sprechen wir von Millisekunden.“ Das Prinzip, die Rechenleistungen gewissermaßen schon in die Antenne beziehungsweise die Basisstationen zu bringen und damit den Weg bis zu weit entfernten Servern zu sparen, nennt sich Mobile-Edge-Computing. Einhaus weiter: „Das Mobile-Edge ist der Rand des Netzes. Es gibt verschiedene Konzepte, wo und wie Daten direkt im Netz berechnet und mithilfe von künstlicher Intelligenz analysiert werden können, und die testen wir derzeit und wählen die für die Tri5G-Anwendungsfälle passenden aus.“
Im Forschungsprojekt ist die HTWK Leipzig dafür zuständig, dass das 5G-Mobilfunknetz und das integrierte Mobile-Edge-Computing am Standort verfügbar ist und die benötigte Dienstgüte bereitgestellt werden kann. Dafür suchen die Forschenden die passenden Technologien aus, führen zahlreiche Messungen und Simulationen durch und bauen auf den gesammelten Daten mittels maschinellem Lernen Prädiktionsmodelle. In diesem Kontext werden darüber hinaus auch neue Konzepte für das sogenannte Network Slicing getestet, durch welches einzelnen Nutzergruppen im 5G-Netz zukünftig Dienstgüte garantiert werden soll. Auch dies wird in den Modellen berücksichtigt, so dass anwendungsspezifisch die Dienstgüte der 5G-Mobilfunknetze vorhergesagt werden kann – ein Ausschluss-Kriterium dafür, ob die gewünschten Anwendungen überhaupt denkbar sind. Darüber hinaus erarbeitet die Forschungsgruppe Konzepte für die Automatisierung und Optimierung des Mobilfunknetzbetriebs, insbesondere im Bereich industrieller 5G-Campusnetze.
Im Drohnenflug Schäden finden
Einer der 14 Anwendungsfälle der Praxispartner handelt vom Fliegen: Nach periodischen Abständen und nach Fremdeinwirkungen von außen werden die großen DHL-Flugzeuge geprüft. Inspekteurinnen und Inspekteure suchen dafür stundenlang beispielsweise nach einem fingernagelgroßen Eintrittsort eines Blitzes. Nun sollen sie technische Unterstützung erhalten: Dafür schwirrt eine kleine Drohne im Hangar an den großen gelben Flieger heran, umkreist ihn systematisch auf der Suche nach Schäden und wertet noch im Mobilfunknetz unter Einsatz von Mobile-Edge-Computing die bandbreitenintensiven Videodatenströme mittels künstlicher Intelligenz aus. Dafür trainierten Informatikerinnen und Informatiker der Universität Leipzig die Software monatelang mit realen Bildern von Schadstellen an Flugzeugen wie Dellen, Rissen oder Lackschäden.
Im Krankenwagen jede Sekunde nutzen
Szenenwechsel zu einem dritten fiktiven Anwendungsfall: Ein Mann ist bei einem Unfall schwer verletzt und wird per Krankenwagen ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Jede Sekunde zählt, also versorgen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter den Patienten bereits während der Fahrt. Die moderne Fahrzeugtechnologie und das flächendeckende 5G-Netz ermöglichen, dass per Videoschaltungen und Datenübertragungen Fachärztinnen und Fachärzte im Zielkrankenhaus bereits während der Fahrt eine Ersteinschätzung vornehmen.
Die Schockraum-Teamleitung sieht die Vitalparameter des ankommenden Patienten live und kann so bereits wichtige Vorbereitungen treffen und das benötigte Fachpersonal für Noteingriffe kontaktieren, um den Patienten bei Ankunft im Krankenhaus schnell zu versorgen. Das Rettungswagenteam kann währenddessen unterwegs auf telemedizinische Beratung zugreifen und lebensrettende Informationen wie Vorerkrankungen schnell erhalten sowie die gemessenen Vitalparameter wie Blutdruck und Herzschlag übertragen. Das erspart Zeit und erhöht damit die Chancen, dem Unfallopfer rechtzeitig zu helfen und lebenswichtige Maßnahmen einzuleiten.
Die künstliche Intelligenz dient als Entscheidungsunterstützung und verringert somit die Zeit, in der die Maschinen stillstehen müssen. Das bietet wiederum einen Wettbewerbsvorteil. Autos rollen fahrerlos durch die Montagehalle Von der Luft nun auf die Straße zu einem anderen Anwendungsfall: Täglich rollen im Leipziger BMW-Werk mehr als 1.000 neue Fahrzeuge vom Band. Diese neugebauten Autos sollen sich innerhalb der Logistikzonen und der Montage eigenständig bewegen – fahrerlos. Dafür setzt die BMW Group auf zwei Schlüsseltechnologien. Zum einen kommt eine Sensor-Infrastruktur zum Einsatz, woraus ein Umfeldmodell generiert wird. So wird den Fahrzeugen eine exakte Erkennung der eigenen Position ermöglicht und vermeintliche Hindernisse in der Werksumgebung erkannt. Mittels cloudbasiertem Bewegungsplaner werden kontrollierte Fahrbefehle per Mobilfunk an die fahrerlosen Fahrzeuge gesendet. Zum anderen nutzt das Werk ein lokales 5G-Netz, ein sogenanntes „Campusnetz“. Im Außenbereich muss eine rund 100.000 Quadratmeter große Fläche mit Sensoren ausgestattet werden. Ein eigenes 5G-Campusnetz kann eine hohe Endgerätedichte sowie die benötigte Flächenabdeckung realisieren. Die größte Herausforderung dabei sind enorme Sensor-Datenraten im Upload bei begrenzter Kanalbandbreite. Nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Maschinen, Werkzeuge und Ersatzteile können dann jederzeit mittels 5G und Mobile-Edge-Computing in Echtzeit geortet werden. Das 5G-Positionierungssystem soll die Transparenz im Produktionssystem erhöhen und die Automatisierung von Prozessen und Qualitätskontrollen unterstützen.
Zwischenfazit
Viele dieser Anwendungen sind im Moment Zukunftsvisionen, doch im Forschungsprojekt nähern sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit den Praxispartnern Schritt für Schritt dieser neuen Realität und räumen Hindernisse wie technische Hürden so weit wie möglich aus dem Weg. Die technische Umsetzung ist durchaus komplex und Grundlagenarbeit weiterhin vonnöten, um die 5G-Netzabdeckung in hoher Dienstgüte auch wirklich sicherzustellen.
Im September 2024 zeigt das Forschungskonsortium an einem Demonstrationstag Partnern und Beteiligten am Flughafen Leipzig/ Halle, was bis dato möglich wurde. Auch auf Konferenzen und in einer abschließenden Studie werden HTWK-Professor Einhaus und die Kolleginnen und Kollegen der Technischen Universität Dresden Ergebnisse der 5G-Netztechnologie-Forschung veröffentlichen, damit auch andere industrielle Ballungsgebiete von den Erkenntnissen aus dem Reallabor im Leipziger Norden profitieren können.
Begriffserklärungen
Netztechnologie 5G
steht für den Mobilfunkstandard der fünften Generation. Mittlerweile sind 5G-Netze fast flächendeckend in Deutschland verfügbar. Die Technologie bestimmt nicht nur, wie schnell wir am Smartphone im Internet surfen können, sondern bildet vor allem die Grundlage für die Kommunikation zwischen technischen Geräten und Diensten, dem sogenannten Internet of Things. Vorteile sind die hohen Geschwindigkeiten bei gleichzeitig sinkender Verzögerung während der Datenübertragung. Die geringen Latenzzeiten bieten neue Einsatzmöglichkeiten: hochauflösende Kamera-Echtzeitübertragungen, schnelle und sichere Kommunikation zwischen Geräten oder etwa die Verwandlung von Städten in Smart Cities.
Infoseite zu 5G vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik
Campusnetze
sind private, lokal betriebene Mobilfunknetze. Sie sind meist unabhängig vom öffentlichen Mobilfunknetz und somit geschlossene Systeme mit großer Informationssicherheit. Unternehmen nutzen Campusnetze meist im Anschluss an das interne Firmennetz, über das der Datenaustausch läuft, und lassen nur eigene Geräte und berechtigte Personen darauf zugreifen.
#vorgestellt
Prof. Dr. Michael Einhaus (*1976) ist seit 2019 Professor für Mobilfunk und Hochfrequenztechnik an der HTWK Leipzig.
Davor war er an der Hochschule für Telekommunikation Leipzig tätig. Praxiserfahrungen als Entwicklungsingenieur sammelte er bei Panasonic, bei den NEC Laboratories Europe und an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Nach dem Studium der Elektrotechnik promovierte er über die dynamische Ressourcenvergabe an Mobilfunk-Schnittstellen.
Neben der Veröffentlichung zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten ist er Mitinhaber diverser Patente und leistet umfangreiche Beiträge für die Standardisierung von Mobilfunksystemen.